Dialog.ue, Martin Graff, III: Die Politiker der Grenzregionen sind nicht aktiv genug



Martin Graff wurde 1944 in Münster im Elsass geboren. Der deutsch-französische Autor studierte evangelische Theologie, Romanistik und Philosophie an der Universität Strassburg, beschäftigt sich in seinen Schriften und Filmen mit dem Thema Grenze, insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland. Er wurde mehrfach mit dem deutsch-französischen Journalistenpreis des Saarländischen Rundfunks ausgezeichnet. Als junger evangelischer Pfarrer in Sarreguemines entdeckte er die Saar-Lor-Lux Region. Er volontierte damals beim SR.

Das Foto zeigt den Nullkilometer an der Saar zwischen Saarbrücken/Sarrebruck und Sarreguemines
/Saargemünd, s. dazu auch die Post vom 23. März.

Fotografie: Eva Mendgen

Das Buch des Libanesen Amin Maalouf, Les Identités meutrières („Mörderische Identitäten“) taucht bei Ihnen immer wieder auf…

…weil er für mehrere Zugehörigkeiten plädiert, wobei die Sprache die wichtigste Säule ist. Genügt aber nicht. In der Schweiz gibt es offiziell vier Sprachen – ohne Krieg. Im ehemaligen Jugoslawien gab es eine gemeinsame offizielle Sprache, „Serbo-kroatisch“,  aber es gab Krieg.

Etwa dreißig Prozent der Europäer leben heute in Grenzregionen innerhalb und am Rande der EU. Gilt hier ein anderes Geschichtsverständnis? 

Im Alltag ja, ich bin nicht sicher, ob die Grenzgänger neue Kontrollen schätzen würden. Dennoch wählen viele Bürger, die drüben arbeiten, eine Partei, Front national, die für neue Grenzen kämpft. Mangel an politischem Bewusstsein. Die Politiker der Grenzregionen sind nicht aktiv genug.

Die Coronakrise hat in den Grenzregionen die deutsch-französische Freundschaft stark beschädigt, besonders 2020. Bis die Deutschen aus Gütersloh oder Berlin auch merkten, dass sie in Bayern oder an der Ostsee nicht willkommen sind. 

Im Februar 2021 gab es erneut Spannungen besonders zwischen Moselle und dem Saarland, aber mit weniger hässlichen Auswüchsen wie ein Jahr zuvor.

Müsste nicht die Zunft der Dolmetscher, der Übersetzer, der Sprachlehrer und –forscher an Bedeutung gewonnen haben…

Sollte. Erasmus plus. Das Sekretariat für berufliche Bildung in Saarbrücken nicht vergessen, wird aber dauernd vergessen. Übersetzungen erlauben freilich den Zugang zu anderen Kulturen. Die Übersetzung ist die Sprache Europas, schreibt Umbert Eco.

Die französische Version deines Buch über Luther hat eine andere Erscheinungsform als die deutsche Version…

Ja. Der deutsche Titel: Der Lutherische Urknall. Comme l'Allemagne auf Französisch. Normal, Luther ist in Frankreich unbekannt.

Und die Frage Comme L’Allemagne? wird täglich gestellt. Nachdem  im März 2021 Macron eine Stunde  nach Merkel die AstraZeneka in Frage stellte, wurde er glatt als Vize-Kanzler von Frau Merkel bezeichnet.

Hardcover gibt es kaum in Frankreich.

Doppelte Arbeit?

Fast, keine reine Übersetzung. Französische Version um 50 Seiten länger. Hängt auch von der Laune des Autors ab. Manchmal auch von Entdeckungen. Die deutsche Version war schon im Druck, als ich entdeckte, dass Jean Jaurès, Gründer der sozialistischen Partei Frankreichs, von einem Nationalisten drei Tage vor Kriegsbeginn  ermordet, seine Doktorarbeit über Luther schrieb. Jaurès war damals sehr bekannt in Deutschland. Sonderfall, weil ich eigentlich zwei Bücher mit demselben Thema schreibe.

Lesen eher Berliner deine Bücher oder Saarländer, Rheinland-Pfälzer, Baden-Württemberger? Pariser? Franzosen? Belgier? Junge, Alte?...

Alter spielt keine Rolle. 

In Deutschland mehr Leser in der Südschiene, aber es gibt auch Lesungen in Berlin oder gar Husum und Görlitz. Mein Gedicht "Die Luftwurzel  Accroche tes racines au ciel" ist inzwischen in 15 Sprachen übersetzt.

In Frankreich, obwohl viele Medien schon über meine Arbeit berichtet haben - war schon in allen französischen Medien einmal präsent -, bin ich nur im Elsass bekannt. 

In Deutschland war ich einfach durch die Filme lange präsent.

Bild / Text? Wer gewinnt?

Im Augenblick gewinnt  generell das Bild. Bildsprache ist einfach anders. Genügt allein nicht. Noch werden  Bücher produziert.

Für mich persönlich gewinnt aktuell der Text, nach dem Luther-Buch veröffentlichte ich eine Reihe von Büchern:

-Deutsch-französischer Gedankenschmuggel, Morstadt-Verlag.

-Geschlossene Gesellschaft, Wellhöfer-Verlag.

Allein im Jahr 2020, Corona.

-Grenzkabarett. Je t'aime ich liebe dich. Morstadt-Verlag.

-Un Pays qui s'appelle Noël. Yoran Verlag.

-Zungenknoten. Deutsch-französische Kolumnen. Wellhöfer-Verlag.

Auch Mitarbeit bei Dokdoc, online Magazin Documents-Dokumente, deutsch-französisch seit 1945.

....

Fortsetzung folgt... 


Die Fragen stellte Eva Mendgen.

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